Philologenverband: “Rein ökonomische Betrachtung von Inklusion und Bildung ist pädagogischer Unsinn”
Als irreführend und fahrlässig verkürzend hat der Philologenverband Niedersachsen den Bericht des Niedersächsischen Landesrechnungshofes zur Inklusion an Schulen bezeichnet. „Der Bericht ist in seinen Schlussfolgerungen realitätsfremd und unseriös. Allein schon die rein ökonomische Betrachtung von Inklusion und Bildung an unseren Schulen ist pädagogischer Unsinn, der die entscheidende Frage des Kindeswohls sträflich ignoriert”, kritisierte Horst Audritz, Vorsitzender des Philologenverbandes.
Mit seiner Forderung nach Abschaffung des wahlweisen Angebots von Förderschulen für behinderte Schüler beweist der Landesrechnungshof eine nur erschreckend zu nennende Unkenntnis der tatsächlichen Bedürfnisse von Kindern mit Handicaps. Zugleich ignoriert er das Recht der Eltern, die für ihr Kind beste und dem Handicap angemessene Schule zu wählen.
„Die beste Schule ist für viele Kinder eben nicht eine Regelschule, sondern die Förderschule, weil dort reale Chancen gegeben sind, dass speziell ausgebildete Lehrkräfte die Schüler in kleinen Gruppen viel besser betreuen und fördern können als in den großen Klassen der Regelschulen. Was kann das besser beweisen als die enorme Anzahl von Eltern, die in der Vergangenheit immer wieder für den Erhalt der Förderschulen in Niedersachsen gekämpft haben und dies im Interesse ihrer Kinder auch jetzt noch tun”, so Audritz.
Völlig unverständlich muss es auch bleiben, wenn der Landesrechnungshof mit dem Unterton des Vorwurfes ausdrücklich betont, dass an den Gymnasien in Niedersachsen lediglich 0,5 Prozent inklusiv beschulte Schüler gezählt werden, an den Hauptschulen dagegen 14,6 Prozent. „Was soll denn z.B. ein stark lernbehinderter Schüler in einer Schule, deren Unterricht er gar nicht folgen kann, der kaum eine Chance hat, die staatlich festgesetzten Lernziele und den Abschluss des Gymnasiums auch nur annähernd zu erreichen? Wie soll er denn dieselben Möglichkeiten für eine an seinem Wohl orientierte Förderung seiner individuellen Fähigkeiten an einem Gymnasium erhalten, wie sie in den spezialisierten Förderschulen mit ihrem ausgebildeten Fachpersonal und in kleinen Lerngruppen stattfindet?”, so Audritz. Dass sich der Landesrechnungshof zu dieser entscheidenden Frage nicht äußere sei ein Beleg dafür, dass es ihm offensichtlich an den erforderlichen bildungspolitischen und pädagogischen Kenntnissen, zumindest aber an einem differenzierenden Blick auf die Vielzahl von verschiedenen Handicaps der Inklusionsschüler fehle.
Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen beträfen, sei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen. Dabei müsse entscheidend sein, dem Wohl von Kindern insgesamt wie dem Einzelnen in seinen Ansprüchen und Bedürfnissen gerecht zu werden. „Eine sinnvolle, an den Bedürfnissen aller Schüler orientierte Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Wer das suggeriert, führt die Öffentlichkeit bewusst in die Irre und erweist vor allem den Bildungschancen der Kinder einen Bärendienst”, so Audritz.
Eine Kontrollfunktion über die Ausgaben des Landes, wie sie der Landesrechnungshof ausübe, sei auch im Bereich der Inklusion wichtig und sinnvoll; die Beurteilung der pädagogischen Umsetzung müsse aber den Fachkräften vorbehalten bleiben, die mehr als nur monetäre Aspekte in den Blick nehmen müssten. „Bildungsgerechtigkeit bedeutet eben nicht Gleichmacherei, sondern das individuelle Fördern und Fordern der jeweiligen Fähigkeiten jedes einzelnen Schülers. In diesem Sinne unterstützen wir alle Inklusionsbestrebungen, die am Kindeswohl orientiert sind und Kindern, Eltern und Schulen gerecht werden”, unterstrich Audritz.
Hannover, 08.06.2018