Fehlende Lehrkräfte, wiederkehrende Abordnungen, hohe Krankheitsstände in Kollegien, Abkehr von Lehrerberuf und damit Unterrichtsausfall als Regelfall – diese Liste ließe sich fortsetzen. Die Situation an deutschen Schulen ist absolut desolat und wird auf absehbare Zeit nicht besser, gehen doch demnächst geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand und es kommt kaum noch etwas nach.
Niedersachsen bleibt von diesem Notstand, der durch das bildungspolitische Versagen aller Parteien in den letzten beiden Jahrzehnten entstanden ist, nicht verschont. Das Kultusministerium steht nunmehr vor der großen Herausforderung, diesen Bildungsnotstand aufzulösen und nicht noch zu verstärken. Eine Verstärkung der Notlage würde direkt in eine Bildungskatastrophe führen.
Hat man im Ministerium vor dem Lehrkräftemangel bereits kapituliert?
Frau Ministerin Hamburg sollte daher die Bereiche Lehrkräftegewinnung und Unterrichtsversorgung in den Fokus ihrer Bemühungen stellen. Davon ist zurzeit allerdings nur wenig zu spüren. Während die Lücke an Lehrkräften mit jedem Jahr wächst und die Ministerin bereits vor einem Jahr feststellte, dass der Lehrkräftemangel für mindestens zehn Jahre bestehen bliebe, gewinnt man zunehmend den Eindruck, die Rekrutierung neuer Lehrkräfte auf die lange Bank zu schieben. Bis heute warten wir auf die Unterrichtsversorgung des laufenden Schuljahres. Wo bleiben die Zahlen? Hat man im Ministerium etwas schon vor dem akuten Lehrkräftemangel kapituliert und hüllt sich deswegen in Schweigen. Die Strategie der Ministerin und ihres Beraterstabs zur Lösung der gravierenden Probleme ist nicht überzeugend. Mit Nebenschauplätzen wie Lernen im eigenen Takt, Berichtszeugnisse statt Ziffernnoten, dem Zusammenlegen von Unterrichtsfächern oder einer Debatte über mögliche Freiräume gewinnt man keine einzige neue Lehrkraft. Wir erwarten kurz- und mittelfristige Lösungen, die den Lehrkräftemangel beheben. Die von Ministerpräsident Weil vor einem Jahr favorisierte Rückholaktion von Lehrkräften aus dem Ruhestand ist genauso gescheitert wie die Abwerbung für den Lehrberuf aus Bereichen der Wirtschaft. Das war absehbar und kurzsichtig.
Nachdem alle kurzfristigen Lösungen gescheitert sind, soll es jetzt der „Stufenlehrer“ richten
Langfristig soll nun das „Stufenlehramt“ zum Allheilmittel werden. Dazu soll die Lehrkräfteausbildung verändert werden. So etwas braucht aus Sicht des Ministeriums Zeit. Der erste Stufenlehrer soll 2032 vor der Klasse stehen. Das dauert zwar noch, dafür ist der neue Lehrertypus dann aber als universelle Wunderwaffe allzeit bereit: Er kann je nach Bedarf zwischen den weiterführenden Schulformen wechseln und sich dem jeweiligen Leistungsniveau anpassen. Positiv zu bewerten ist, dass die Ausbildung der Studierenden praxisnäher und der Vorbereitungsdienst weiterhin an den im Land gut verteilten Studienseminaren erfolgen soll. So werden auch die ländlichen Regionen mit grundständig gut ausgebildeten Lehrkräften versorgt.
Ein Problem bleibt ungelöst: Das Stufenlehramt wird weder einen Beitrag zur Lehrkräftegewinnung noch zur kurzfristigen Sicherung der Unterrichtsversorgung leisten. Allein die Tatsache, dass mit einer Pilotphase an den Universitäten erst ab dem Jahr 2025 zu rechnen ist und fertige Stufenlehrkräfte im Idealfall erst zu Beginn des nächsten Jahrzehnts in die Schulen kommen, spricht gegen einen auch mittelfristig erfolgreichen Lösungsweg.
Die SWK der KMK sagt: „Ein Systemwechsel wäre kontraproduktiv“ und macht krank
Um die Unterrichtsversorgung aktuell zu verbessern, werden gerade ausgebildete junge Kolleginnen und Kollegen als permanente „Springerinnen“ und „Springer“ zwischen verschiedenen Schulen und Schulformen mit unterschiedlichen Leistungsanforderungen eingesetzt. Was schon innerhalb des bisherigen Systems durch die häufigen Wechsel der Klassen und Kurse während eines Schul- oder sogar Halbjahres bei erfahrenen und belastbaren Lehrkräften zu enormen Kräfteverschleiß führt, wird bei Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern schnell zu gesundheitlichen Problemen und Motivationsverlust führen. Negative Auswirkungen auf die bestehenden Kollegien sind zu befürchten, weil hohe Krankenstände kompensiert werden müssen. Burnouts und Frühpensionierungen erfolgen mit Ansage!
Wer denkt hier eigentlich noch an die Schülerinnen und Schüler oder die Lehrkräfte?
Es ist offensichtlich, dass die angestrebte Reform der Lehrkräfteausbildung zum „Stopfen von Löchern“ dient. An die an und in Schule Beteiligten denkt man nicht. Durch die dauernden Wechsel der Lehrkräfte fehlen verlässliche Bezugspersonen für die Schülerinnen und Schüler; dies gilt sowohl für ihre unterrichtlichen als auch pädagogischen Bedarfe. Eine qualitativ hochwertige Vorbereitung von jungen Menschen auf den Beruf als Lehrerin oder Lehrer ist die Ausbildung zum Stufenlehrkraft jedenfalls nicht: Die Lehrkräfte werden ihrer individuellen Stärken beraubt, die sie gezielt in den von ihnen bevorzugten Schulformen pädagogisch und didaktisch-methodisch adäquat einsetzen könnten. Die Reform kreiert verschiebbare Einheitslehrerinnen und Einheitslehrer, die für politische Fehler der Vergangenheit und Gegenwart herhalten müssen und denen die Chance genommen wird, durch eine schulformspezifische Ausbildung junge Menschen auf die großen globalen Herausforderungen zielgerichtet und individuell passend vorzubereiten. Die avisierte Umsetzung der Ausbildung zur Stufenlehrkraft ist eine vertane Chance, da sie weder die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern noch die junger Menschen, die sich für ein Lehramtsstudium entscheiden und berufen fühlen, Kinder und Jugendliche der nachwachsenden Generationen beim Start ins Leben zu begleiten, berücksichtigt. Sehr schade, dass man die Rechnung ohne die Beteiligten macht!
Unser Ausbildungskonzept ist sofort umsetzbar und passt sich Gegebenheiten an.
Es ist absolut nicht nachvollziehbar ist, dass von Seiten des Kultusministeriums kaum Interesse besteht, die Ideen des Philologenverbandes Niedersachsen in die Überlegungen zur Reform der Lehrkräfteausbildung einzubeziehen. Der Philologenverband Niedersachsen ist der einzige Verband, der ein völlig ausgearbeitetes und finanziell durchgerechnetes Konzept zur Modernisierung der Lehrerausbildung vorlegen hat. Dieses wurde 2018 mit überwältigender Mehrheit auf dem Philologentag in Goslar verabschiedet und in den letzten Jahren aktuellen Gegebenheiten, wie der inklusiven Bildung, dem Umgang mit Heterogenität, der Umsetzung von Wechsel- und Distanzunterricht, der Veränderungen von Unterricht durch die digitale Transformation oder künstliche Intelligenz immer wieder angepasst.
Es ist ein Konzept, dass die grundsätzlich bewährte schulformspezifische Lehrkräfteausbildung kontinuierlich durch das Drehen an wichtigen Stellschrauben weiterentwickelt. Der Vorschlag benötigt keine aufwändige Ausarbeitung in teuren und ideologisch geprägten Kommissionen und wäre sofort umsetzbar. Warum bis 2032 auf die ersten Stufenlehrkräfte warten, wenn bereits 2025 die ersten Kolleginnen und Kollegen nach unserem Konzept in den Schulen wären? Das versteht wirklich niemand!
Das Grundprinzip ist einfach erklärt und passt auf einen Bierdeckel
Das Lehramtstudium ist schulformbezogen. Bis zum Bachelor ist ein sechswöchiges Schulpraktikum zu absolvieren. Nach dem Bachelor folgt ein insgesamt zweijähriger Studiengang mit einem durch die Studienseminare betreuten Praxissemester und dem Abschluss durch das 1. Staatsexamen. Es folgt ein 21-monatiger Vorbereitungsdienst (Einstellungstermine 01.05. und 01.11.) mit abschließender 2. Staatsprüfung. Erfolgreich ausgebildete Lehrkräfte wird anschließend eine Planstelle angeboten.
Wenn man doch nur die ideologische Borniertheit ablegen könnte und sich endlich trauen würde, unser Konzept umzusetzen, dann wären wir endlich mehr als einen Schritt weiter!!!!