Zu den von der Leopoldina vorgeschlagenen Maßnahmen im Bildungsbereich äußert sich der Vorsitzende des Philologenverbandes Niedersachsen, Horst Audritz, folgendermaßen:
„Es ist zu begrüßen, wenn sich die Nationale Akademie der Wissenschaften mit ihrem fächerübergreifenden wissenschaftlichen Blick zu wichtigen gesellschaftlichen und politischen Themen, wie dies derzeit bei der Diskussion um Lockerungen in der Corona-Krise geschieht, äußert und Vorschläge erarbeitet. Der Blickwinkel außerhalb der medizinischen Bewertungen ist für eine Lageeinschätzung, wie sie die politischen Gremien unseres Landes morgen treffen werden, von großer Bedeutung.
Als Philologenverband stehen wir den gemachten Vorschlägen für den Bildungsbereich allerdings mit Skepsis gegenüber. Noch immer ist es eher ein Blick in die Glaskugel als eine auf gesicherter Datenbasis mögliche Entscheidung, wie sich eine Öffnung der Schulen und Kindertagesstätten auf die weitere Verbreitung des Virus auswirken wird. Für uns ist offensichtlich, dass die im Raum stehenden Vorschläge, zunächst mit den jüngsten Schülerinnen und Schülern zu beginnen, nicht von der Expertise der Virologen und der Schulpraktiker geprägt sind. Es geht in der Hauptsache um den schnellen Ausstieg aus den Schulschließungen und um die Abfederung psychischer, sozialer und wirtschaftlicher Folgen der Krise.
So sehr ein schrittweiser Ausstieg aus den Schutzmaßnahmen zu begrüßen ist, so gerne wir alle die vielen ungeklärten Fragen beantwortet hätten und zur Normalität zurückkehren möchten, so gefährlich erscheint dennoch eine vorschnelle Lockerung. Das Virus hält sich nicht an den Kalender und Prognosen, es reagiert auf günstige Bedingungen. Und die sind vorwiegend große Menschenansammlungen, große persönliche Nähe und mangelhafter Selbstschutz, alles was in Schulen schwerfällt. Es muss daher alles vermieden werden, um eine neue massenhafte Infektionswelle in Gang zu setzen.
Der Grundsatz muss aus unserer Sicht daher lauten: Nicht so früh wie möglich, sondern so sicher wie nötig zu handeln. Der Gesundheitsschutz muss absolute Priorität haben. Schulkinder dürfen das Virus nicht in die Elternhäuser tragen, Schutzausrüstungen müssen in den Schulen vorhanden sein, besonders gefährdete Lehrkräfte wären nur eingeschränkt einzusetzen, Mindestabstände wären einzuhalten, Gruppengrößen zu reduzieren und Hygienestandards strikt einzuhalten.
In der Praxis ist das schwierig bis unmöglich, selbst dann, wenn der Unterricht auf das Mindestmaß reduziert wird. Gefragt ist hier die Beratung durch Schulpraktiker. Auf keinen Fall ist zu akzeptieren, dass nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ verfahren wird. Schulpraktisch, aber auch aus Sicht berufstätiger Eltern ist der vorgeschlagene Weg der Leopoldina keine Verbesserung der Situation. Familien mit Kindern in verschiedenen Jahrgängen müssten dennoch weiter eine Betreuung zu Hause organisieren und wären zudem der Gefahr einer Ansteckung deutlich erhöht ausgesetzt. All dies sind Aspekte, die am Ende wiederum gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen.“