Zur Diskussion um verpassten Lehrstoff bzw. Corona-Wissenslücken:
Zusätzlicher Samstagsunterricht und Ferienkürzungen nicht zielführend
Im Corona-Ausschuss des Niedersächsischen Landtages, der gestern u.a. Kultusminister Tonne zum Krisenmanagement an den Schulen befragt hat, sei nach Berichten das Lernen selbst und die Frage, ob und wie der versäumte Stoff nachgeholt werden kann, fast kein Thema gewesen.
Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz, erklärt dazu:
„Die aktuelle Diskussion um verpassten Unterricht während der coronabedingten Schulschließungen hat zu provokativen Vorschlägen geführt, wie Versäumtes nachgeholt werden könnte. Einzelne Fachleute gehen von etwa 500 Unterrichtsstunden aus, die bisher ausgefallen seien. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, spricht sich deshalb für Ferienkürzungen aus, andere wollen zusätzlichen Samstagsunterricht einführen. Beide Vorschläge sind populistischem Stimmenfang geschuldet und erweisen sich bei näherer Betrachtung als Milchmädchenrechnung: Bei 40 Schulwochen würden bei vier Stunden zusätzlichem Samstagsunterricht die ausgefallenen Stunden in etwa drei Jahren nachgeholt sein. Alternativ könnten bis auf 30 Tage Erholungsurlaub alle Ferien gestrichen werden, auch dann wäre die Lücke erst in drei Jahren geschlossen. Aber die zusätzlichen Belastungen wären enorm, denn es sind Belastungen, die zum normalen Schulalltag hinzukämen.
Ein pauschales Nachholen ausgefallenen Unterrichts würde alle Schülerinnen und Schüler über einen Kamm scheren und unterstellt einen generell erheblichen Unterrichtsausfall. Aber auch Distanzunterricht ist Unterricht. Oberstufenschülerinnen und -schüler kommen z.B. mit dem Distanzlernen und selbständigen Lernen recht gut zurecht. Gefördert werden müssen gezielt diejenigen, die nachweislich coronabedingte Defizite aufweisen. Zudem kann vielfach gar nicht festgestellt werden, welcher Unterrichtsstoff versäumt worden ist, denn unsere Lehrpläne sind keine Stoffverteilungspläne mehr, nach denen Stoff abgehakt wird, sondern kompetenzorientierte Curricula. Kompetenzen sollen mit Inhalten verknüpft und in zeitlichen Stufen erreicht werden, die Wege sind verschieden, sogar von Schule zu Schule, ganz abgesehen davon, dass der Ausgleich von grundlegenden Defiziten kurzfristig – und nicht über Jahre – angelegt sein sollte. Hier ist besonders an die Abschlussjahrgänge zu denken. Schule beruht aber auch auf sozialem Austausch, der sich nicht nachholen lässt.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern haben wir in Niedersachsen das G9, also wieder 13 Schuljahre bis zum Abitur, was zusätzliche Möglichkeiten zu einer anderen Stoffverteilung eröffnet und die Kompensation von Versäumtem ermöglicht.
Wir brauchen eine intelligente Förderung, die den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schülern und den verschiedenen Schulformen Rechnung trägt. Das können die Schulen am besten selbst organisieren, auch z.B. in Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern im Ganztagsbetrieb. Die Schulen brauchen dafür jedoch ein entsprechend erhöhtes Stundenkontingent und mehr Personal.
Kultusminister Grant Hendrik Tonne tut gut daran, an freien Samstagen und der Ferienregelung festzuhalten, wie bisher zugesagt. Erholungszeiten sind zwingend erforderlich und fördern Energie und Motivation für längere Unterrichtsphasen und lassen Freiräume für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts bei Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern. Die Mehrbelastung an den Schulen ist unübersehbar.
In Niedersachsen besteht zudem die Möglichkeit einer freiwilligen Wiederholung eines Jahrgangs. Das sollte in Corona-Zeiten aber nicht als „Sitzenbleiben“ und auch nicht auf die Verweildauer in der Oberstufe angerechnet werden.“
PHVN Pressemitteilung Förderung SuS 1