Home Aktuelles Kultusministerium muss Gesamtkonzept zum Umgang mit Gewalt an Schulen vorlegen – Lehrkräfte explizit als Schutzbedürftige in Erlasse aufnehmen

Kultusministerium muss Gesamtkonzept zum Umgang mit Gewalt an Schulen vorlegen – Lehrkräfte explizit als Schutzbedürftige in Erlasse aufnehmen

by hermelingmeier
  • 70 Prozent der Lehrkräfte haben verbale Gewalt erfahren, mehr als jede fünfte Lehrkraft sogar physische Gewalt
  • 71 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich schutzlos
  • 87 Prozent sehen keine ausreichenden Reaktionen gegen Gewalt durch das Kultusministerium
  • Ein Drittel würde den Beruf nicht mehr ergreifen

In den Medien ist die erhebliche Zunahme von Gewaltdelikte in der Gesellschaft spürbar, die Statistiken der Ordnungsbehörden untermauern dies. Mit einer jüngst durchgeführten Mitgliederumfrage an niedersächsischen Gymnasien und Gesamtschulen kann der Philologenverband Niedersachsen nun die Realität verbaler, physischer und digitaler Gewalt nachweisen.

950 Lehrkräfte haben teilweise alarmierende Erlebnisse aus ihrem Schulalltag geschildert. „Es macht uns betroffen zu sehen, dass so viele Kolleginnen und Kollegen bei ihrer Arbeit erschütternde Gewalterfahrungen durchleben müssen. Schule ist ein Abbild der Gesellschaft, das bedeutet, auch hier müssen klar vorgegebene Maßnahmen bei jeglicher Form von Gewalt ergriffen werden“, fordert der Vorsitzende des Verbandes, Dr. Christoph Rabbow. „Alarmierend ist, dass sich unsere Lehrkräfte vom Kultusministerium allein gelassen fühlen und der Dienstherr nicht als Hilfe bei den Gewalterfahrungen – insbesondere im digitalen Bereich – wahrgenommen wird. 87 Prozent bewerten die Reaktionen des Ministeriums als unzureichend. Wir fordern daher ein Gesamtkonzept zum Umgang mit Gewalt in den Schulen, das alle an Schulen Beteiligte einbezieht. Die bisherigen Erlasse beziehen sich ausschließlich auf den Schutz der Schülerinnen und Schüler. Unsere Umfrage zeigt auch die Lehrkräfte brauchen Schutz!“

Die erhobenen Zahlen verdeutlichen, dass 70 Prozent der befragten Lehrkräfte Erfahrungen mit verbaler Gewalt (Bedrohungen, Mobbing, Beschimpfung, Diskriminierung etc.) haben und sogar 21 Prozent schon physische Gewalt (körperliche Übergriffe, Nötigung etc.) erlebt haben. Bei den teilnehmenden Lehrkräften an den Gesamtschulen machten sogar 85 Prozent verbale Gewalterfahrungen.

Schwerpunktmäßig erfragt wurden ebenso Formen digitaler Gewalt, wobei Beleidigungen, verbale Bedrohungen sowie das Verbreiten von Gerüchten in digitaler Form zu den mit 67 Prozent meistgenannten Übergriffen zählten. 60 Prozent der Teilnehmenden haben diese Form der digitalen Gewalt bereits in ihrem Umfeld erlebt.

Mehr als 70 Prozent geben zudem an, dass sie sich nicht ausreichend durch die vorhandenen Richtlinien und Sicherheitskonzepte der Schule vor Gewalt geschützt fühlen.

„Wir haben festgestellt, dass sich unsere Kolleginnen und Kollegen schwer tun die begangenen Übergriffe zu melden. 40 Prozent wenden sich nicht an ihre Schulleitungen, wenn Sie Gewalterfahrungen machen. Hier muss dringend ein Bewusstsein geschaffen werden, dass jeglicher Übergriff angezeigt, aufgeklärt und auch sanktioniert werden muss. Aus Erfahrungen der juristischen Beratung durch den Verband wissen wir, dass sich auch die Schulleitungen durch zu ungenaue Handlungsrahmen unsicher in ihrem Vorgehen fühlen. Dies überträgt sich natürlich auf das Meldeverhalten der Kollegien“, gibt Rabbow an und fordert: „Auch hier ist das Ministerium als Dienstherr in der Pflicht, konkrete Regelungen zu schaffen, die allen an Schule Beteiligten Sicherheit geben! Ein aus 2016 stammender und bereits seit Ende 2023 abgelaufener Erlass zum Thema Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen an Schulen bleibt viel zu oft vage. An dieser Stelle darf es zum Schutz aller aber keine Unsicherheit geben. Bei einem Gewaltdelikt, egal ob physisch oder in digitaler Form, muss jedem klar sein, dass dies eine konkrete Abfolge von Schritten nach sich zieht. Das trägt zur Verbindlichkeit in der Schulgemeinschaft bei.“

Die Umfrage belegt auch, dass ein Drittel der befragten Lehrkräfte ihren Beruf unter der Zunahme von Gewalt an Schulen nicht mehr ergreifen würden. 55 Prozent fühlen sich stark, 31 Prozent sogar sehr stark psychisch durch Gewalt belastet. „Diese Zahl verdeutlicht einmal mehr, wie dramatisch die Attraktivität des Berufsbildes gelitten hat. Bei stetig steigender Belastung ist zugleich die Sicherheit am Arbeitsplatz Schule gesunken. Da muss man sich überhaupt nicht wundern, wenn junge Menschen sich für andere Tätigkeiten als den Lehrberuf entscheiden.”

Hannover, 23. August 2024

 

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